Vorbemerkung:
Der Entwurf zu diesem Post gärt schon eine Woche in der Schublade. Kardinal Marx gestrige Äußerungen anläßlich einer Frage zum christlichen Fundamentalismus zu katholischen Bloggern sind hier weder eingearbeitet geschweige denn Anlaß. Aber es bestätigt mir die Notwendigkeit, diesen Versuch hier zu unternehmen.
Gleich anfangs dieses Jahres erlebte die Rede vom religiösen Fundamentalismus einen Aufschwung. Nach den erschütternden Mordanschlägen islamistischer Terroristen von Paris und den den endlich auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt werdenden unfaßbaren Gräueltaten des „IS“ im Irak und Syrien wurde ein „islamischer Fundamentalismus“ konstatiert.
Aber, so hieß es -wenn auch nicht nur- hierzulande im selben Atemzug: Alle Religionen hätten ein Problem mit Fundamentalisten, auch die christliche. Mit den Fingern der stets in Unschuld gewaschenen Hände wurde und wird dabei vormehmlich auf protestantische Evangelikale wie auf den traditionsverbundenen Teil des katholischen Spektrums gezeigt.
Die Schriftsteller Martin Mosebach und Navid Kermani gaben sich vor kurzem ein Stelldichein beim SZ – Magazin, dessen gesamte hier nachzulesende Lektüre lohnt. Darin stößt man auch auf diese klugen Worte des in Deutschland geborenen Muslims Kermani.
Kermani: (…) In Rom habe ich gespürt, wie alt die katholische Tradition ist; dass göttlich nicht heißt, dass etwas vom Himmel fällt, sondern über die eigene Erinnerung hinausgeht, dass Rituale, Formen, Gebete einen Ursprung haben, den wir allenfalls noch erforschen können und den dennoch keine Forschung aufschlüsselt. Leider leben wir in einer Zeit, in der sowohl katholische als auch islamische Traditionen wegbrechen; das ist nicht nur traurig, sondern gefährlich, weil Traditionen, die abgebrochen sind, meistens als Fundamentalismus, als etwas Reaktionäres zurückkehren, und dann entsteht Gewalt.
Aber der Fundamentalismus behauptet doch gerade, zum Ursprung zurückkehren zu wollen.
Kermani: Ja, aber er will dabei die Tradition sozusagen überspringen. Er wendet sich dezidiert gegen die Tradition, insofern er zu einem Uranfang zurückzukehren behauptet.
Dann sollte man Traditionen gar nicht erst abreißen lassen, oder?
Kermani: Man kann keine Tradition künstlich am Leben halten. Aber man kann sie dort, wo sie noch existiert, achten und auch schützen und erneuern. Tradition ist die Vermittlung der göttlichen Offenbarung durch Generationen von Menschen hinweg; sie ist mehr, als ein Einzelner wissen oder sich ausdenken kann. Aber heute muss alles nach unserem gesunden Menschenverstand gehen, ohne dass wir bedenken, dass dieser Verstand doch wie jeder menschliche Verstand zuvor auch nur zeitlich bedingt ist. Religion soll so sein, wie wir uns das wünschen, sie soll das aussagen, was wir ohnehin denken, sie soll kompatibel sein mit unserer Zeit. Dabei ist doch das Wesen der Religion, dass sie gerade nicht kompatibel mit unserer oder überhaupt einer Zeit ist. Jesus war ganz offensichtlich nicht kompatibel mit seiner Zeit.
Ich stimme Kermani hierin völlig zu. Zwar weiß ich leider nicht viel über die muslimischen Traditionen, von denen er spricht; für den Katholizismus trifft seine Aussage jedenfalls zu.
Zunächst muß man für den christlichen Bereich feststellen, daß die Bezeichnung „Fundamentalisten“ ursprünglich eine für eine Gruppe von Protestanten in den USA war, die in Abgrenzung zu etablierten protestantischen Strömungen, ganz zum „sola scriptura“ zurückkehren wollte.
Der Fundamentalismus auch im Christlichen ist also eine Haltung, die zu einer wie immer interpretierten Urkirche zurückkehren will und -wie Kermani es treffend sagt- vor jede kirchliche Tradition. Es ist, wenn man so will eine „Stunde Null“- Haltung, die als solche zwangsläufig antitraditionell sein muß. Diese Tradition wird als ein der wahren Religion wie dem wahren Glauben übergestülptes menschliches und instutionelles Machwerk angesehen, das die „wahre Religion und den wahren Glaben“,die „ursprüngliche Lehre und Praxis“ entstelle.
Aus katholischer Sicht ist im Grunde diese Art des Fundamentalismus im Protestantismus schon durch Luther selbst begründet, der die wesentlichen Traditionen der römischen Kirche verwarf. Das soll hier nicht vertieft werden, nur so viel. Sein Irrtum , jeder Christ könne durch Hilfe des Heiligen Geistes die Schrift allein durch Lektüre recht deuten, ein verbindliches kirchliches Lehramt brauche es nicht, zeigt sich schon daran, daß es mittlerweile rund 14000 protestantische Denominationen gibt, die fast alle darauf bestehen, ihre jeweilige Deutung sei die richtige.
Insofern kann man konstatieren: Im Protestantismus gab und gibt es immer wieder Strömungen, die man im obigen Sinne, über die Ablehnung der katholischen Tradition hinaus, durchaus als fundamentalistisch bezeichnen kann. Denn auch im Protestantismus wurden im Lauf der Zeit eigene Traditionen ausgebildet, gegen die sich immer wieder neue Gruppierungen wenden.
Aber darf man diese Gruppen in die Nähe zum islamistischen Fundamentalismus rücken? Höchstens, wenn man sich auf einer strikt strukturellen Ebene bewegt.
Alle Konnotationen mit Terror, Gewalt gegen Andersdenkende, Zwangsbekehrungen u.s.w., verbieten sich hier. Christlicher Fundamentalismus ist nicht identisch mit dem islamischen. Und auch die Empirie liefert keinerlei Anhaltspunkte, es seien irgendwelche Anschläge oder Massaker aus dieser Gruppe zu befürchten. Auf dieser Ebene ist allein schon der Vergleich infam.
Fundamentalismus und Traditionsverbundenheit im Katholizismus – geht das überhaupt?
Schlicht nein. Wie wir gesehen haben, ist der Fundamentalismus eine zwangsläufig traditionsfeindliche Haltung. Umgekehrt ist insofern auch jede Verwurzelung in einer lebendigen Tradition per se antifundamentalistisch. Kurz: ein „Tradi“ kann schon logischerweise kein „Fundi“ sein und umgekehrt. Im Katholischen könnten streng genommen nur solche als Fundamentalisten bezeichnet werden, die die kirchliche Tradition verwerfen und sich nach einer wie immer imaginierten „Urkirche“ sehnen. Die Frage wäre dann aber, ob er mit dieser Haltung die Bezeichnung Katholik noch im vollen Sinne verdient.
Die römische Kirche vertrat nie die Auffassung, daß die Urkirche, deren Geburtsstunde das Pfingstgeschehen war, im Widerspruch zu ihr selbst stünde. Sie begriff sich von Anfang an als die legitime eine Stiftung Christi, die auf dem Fels Petri gründet. In den tiefen Grundsätzen des Glaubens hat sie von Anfang an bis heute nichts geändert und diese von Generation zu Generation durch alle jeweiligen Gegenwarten verkündet und gehütet. Deswegen ist ihr jedweder Bruch mit ihrer Tradition verboten. Konventionen dagegen darf sie nach dem Motto „Prüfet alles, das Gute behaltet“ durchaus ändern. Daran hat auch das II. Vatikanum -als solches betrachtet jedenfalls- nichts geändert.
Fazit
Die Rede von der Gefahr eines Fundamentalismus im Christentum hat vorrangig ohnehin den Zweck der Diffamierung und Ausgrenzung.
Mag man an einzelnen Vertretern der Traditionsverwurzelten kristisieren, was immer man möchte: daß sie meinetwegen mitunter rüde oder gar unflätig im Ton, rechthaberisch oder gar fanatisch seien – ja, das alles gibt es auch, wie es das ebenso in gewiß nicht geringerem Maße bei Verwerfern der Tradition in der Kirche gibt.
Doch für all dies hält die deutsche Sprache je präzise Wörter bereit. Fundamentalistisch ist in dem Fall eines, das dafür stets und explizit nicht nur unpassend, sondern schlicht falsch ist. Sowohl von seinem Bedeutungskontext als auch von der -im Grunde falschen- leider heute gebräulichen Bedeutung des Wortes.
Wer es dennoch benutzt, möchte die Verteidiger der Tradition nicht nur im Diskurs diskreditieren, er unterstellt ihnen, daß auch sie potentielle Gewalttäter wie die islamistischen Dschihadisten seien. Der Beleg bleibt mangels Existenz schuldig Das ist bösartige Verleumdung und dazu eine Unverschämtheit.
Zum anderen ist die Rede vom christlichen Fundamentalismus dem Meaculpismus (P. Samir Khalil Samir SJ) geschuldet, der selbst nach den blutigen Geschehnissen von Paris jeder noch so gemäßigten Kritik an blutrünstigen Exzessen aus der Späre des Islamischen ein beschwichtigendes „dieses Problem haben wir ja im Christlichen auch“ anfügt. Nein, wir haben es nicht.
Ich möchte hier auch manchen geschätzten Mitblogger bitten, über solche meist von außerhalb in die Kirche importierten Begrifflichkeiten wie „katholischer Fundamentalismus“ vor Gebrauch etwas nachzudenken.
Wo es etwas zu kritisieren gibt, an publizierten Inhalten oder am Habitus, kann und sollte man stets konkret bleiben, anstatt Schubladen zu bemühen. Argumente sollten hie, ganz persönliche Belehrungen dort sprechen.
Zum Schluß:
Fundamentalismus ist Geschichtsauslöschung. Er muß aber weder aggressiv noch gewalttätig auftreten.
Traditionsverbundenheit dagegen lebendige Erinnerung im ohnehin je gegenwärtigen Leben.
Die vielzitierte „Erneuerung in Kontinuität mit der Tradition“ sei in Erinnerung gerufen, wobei Erneuerung im Katholischen niemals ein Rütteln an den Grundfesten der Kirche meint. Von Anfang an galt die Offenbarung Christi, seine Worte werden, wie Er sagt, sogar nach dem Vergehen der Welt bestehen bleiben.
Worin besteht dann die Erneuerung in der Tradition? Gilbert Keith Chesterton, einer der wortgewaltigsten Verteidiger der Tradition formulierte einst: „Keep the commandments, break the conventions!“ Gemeint sind vor allem die Konventionen der jeweiligen Gegenwart. Er sagte auch: „Tradition ist Demokratie [auch für die] Toten“. Das berühmte Ratzingersche Bonmot „Es kann keine Mehrheit gegen die Heiligen geben“ unterstreicht dies.
Der Fundamentalist dagegen erklärt seine Vorderen dagegen zu rührigen aber irrenden Gestalten wenn nicht gleich zu Idioten und gegenwärtige Verteidiger der Tradition zu bekämpfenden Feinden. Neuerdings ironischerweise mit der Etikettierung „Fundamentalist“.
Danke dafür. Das Thema beschäftigt mich heute auch schon den ganzen Tag. Gestern hörten wir in der Messe „Christus ist der derselbe: gestern, heute und in Ewigkeit“. In der Predigt ging es um Maria Anna Lindmayr, die aus einer tiefgläubigen Münchner Familie stammte (Fundi? Tradi?). Von ihren 14 (!) Geschwistern wurden 3 Brüder Priester, eine Schwester trat früh in den Karmeliter-Orden ein (viel später auch Maria Anna). Sie hatte eine tiefe Beziehung zu Gott und aus dieser Beziehung heraus auch Visionen, die von den Bürgern und vor allem vom Klerus beachtet und geschätzt wurden. Sie gilt als „Retterin der Stadt“ in der Zeit der spanischen Erbfolgekriege. Auf eine Vision von ihr hin wurde später die Dreifaltigkeitskirche gebaut … und die Stadt gerettet.
Als ich nachhause kam, habe ich bei katholon das Video mit den Marx’schen Ausfällen gesehen.
Und nach so einer Messe, wenn man davon hört, wie tiefgläubig die Frau, und mit ihr auch die ganze Stadt einmal waren, konnte ich über den Kardinal nur noch lachen. Ein weiteres Zeichen, wie sehr er sich von der Stadt und dem Land, deren Oberhirte er ist, bereits entfernt hat.
Sehr gut erkannt und heraus gearbeitet! Herzlichen Dank! :-)
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Und doch … http://wdtprs.com/blog/2015/10/card-burke-yes-im-a-fundamentalist/
;-)